Nachwort zu / Epilogue to:
Utopie und Apokalypse in der Popmusik
von Bianca Ludewig
Das Schreiben, über das was ich tue, als Macher Elektronischer Musik hat für mich etwas schwieriges, zu einzelnen Tracks wäre es einfacher etwas zu sagen, da jedes Stück seine eigene Geschichte hat. Die Stränge der verschiedenen Geschichten mögen sich teilweise kreuzen, andere sind aber nicht gültig für alle. Trotzdem freue ich mich dieses Nachwort zu Bianca Ludewigs Buch zu schreiben – ist es doch eine Gelegenheit ein paar gedankliche Stränge wieder aufzunehmen, welche mich schon länger jagen. Mit Kodwo Eshun führt Bianca Ludewig eine Stimme ein, die für mich auch einiges zu sagen hatte, als ich sein Buch Heller als die Sonne Ende der 1990er gelesen habe. Das Buch ist mir abhanden gekommen, eine Neuanschaffung steht schon lange aus, ich hätte es jetzt hier gern zur Hand gehabt. So muss ich auf andere Quellen verweisen.
Mein eigenes Label, Sozialistischer Plattenbau, habe ich aus einer Außenseiter-Position angefangen. Zunächst, um meine eigenen Tracks, die nirgendwo so recht hineinpassten, zu veröffentlichen. Durch das Label selber bin ich dann in ein Netzwerk von Menschen geraten, die eine ähnliche Strategie wie ich in Bezug auf den Sound verfolgten. Denn die Breakcore Szene ist vor allem international, sie bildete sich eben durch Netzwerke, um eigene Releases zu vertreiben und durch Diskurse über das Internet. Die Zentren bzw. Ereignisschwerpunkte für Breakcore waren in Deutschland vor allem im Dreieck Halle-Chemnitz, Leipzig, Dresden verortet und in Berlin. Dorthin führte dann auch schnell mein Weg, da sich in Berlin mehr Leute tummelten und dort fand ich den ersten Kontakt zwecks Vertrieb zu Kool.pop und digi/tal:net. Breakcore zu veröffentlichen war damals gar nicht mein erstes Ziel gewesen und der Begriff selber war mir auch keiner. Das heißt, dass Breakcore sich erst mit den Jahren als ein Begriff etablierte, zuerst auch eher für eine Szene und dann als ein sehr weit gefasster Genre Begriff.
Im Gegensatz zu Berlin war und ist Hamburg ein Dorf welches eine viel kleinere Szene aufwies: bevor ich das Label angefangen habe war ich zwei bis drei Mal im Brainstorm, mehr noch aber bei DJ Heimkind und den Ruff Cutz im Club Powerhouse. Labels wie Fischkopf, Cross Fade Entertainment und Blut von Hardy aus dem Otaku Recordstore waren auch wichtige Punkte, als auch die Veröffentlichungen von DJ Heimkinds Undadog und später Sensi Soldier Tapes. Gerade DJ Heimkind hatte mit seinem eigenen Timemachine-Projekt eine ganz eigene Sound-Ästhetik, welche sich in den Tape Releases auf Sensi Soldier in lange epochale Tracks ausbreitete. Hardy vom Otaku Recordstore hatte auch eine Sendung mit besonderen Mixen aus verschiedenen Genres zwischen Hardcore und Jungle, gespickt mit einigen eingesprochenen Gedichten und Poesie, die den urbanen düsteren Sound ergänzten. Sowohl Heimkind als auch Hardy, zusammen mit DJ baze.djunkiii, organisierten einige Partys, wie beispielsweise mit DJ Scud, der Peace Off Crew aus Frankreich oder auch zusammen mit Cross Fade Entertainment. In Hamburg tauchten ab 2000 verschiedene Zusammenschlüsse auf, die Partys organisierten und die Musik im Rahmen des Hardcore Continuum weiter entwickelten – Low Entropy und Sampler19 hatte einige legendäre All-Out Demolition Partys in der Roten Flora organisiert und auch Brainstorm Partys in der Box und später in der Roten Flora. Bei All-Out Demolition waren sowohl Gabbers als auch Breakcore Acts und Raver anwesend. Brainstorm hingegen eher Schwerpunkt Hardcore. Bei diesen Partys sind einige auswärtige Acts wie LFO Demon, Amboss, Zombieflesheater oder DJ Gore aus dem Breakcore Umfeld gekommen.
Ein gewisser Schnitt war dann schon zu bemerken. Später gab es auch kurze Zeit die Rotor Veranstaltung im Hafenklang, wo vermehrt Breakcore und auch Jungle, Drum and Bass sowie düsterer IDM lief. Hier war auch das Hamburger Breakcore Label Bruchstellen Records aktiv, das aber lediglich drei Releases veröffentlichte. Im Golden Pudel Club sind im Laufe der 2000er Jahre auch einige explizite Breakcore Acts aufgetreten. Danach gab es immer wieder kleinere Anläufe Partyreihen aus dem Bereich Breakcore in Hamburg zu etablieren, wie Creative Lab im Stellwerk (2014 – 2018) von Cem Törkisch sowie sporadische Breakcore- affine zweite Floors auf den Drumbule Partys im Hafenklang. Oder auch vereinzelte Breakcore und Free-Tek Partys auf der MS Stubnitz. Ab 2012 gab es unter dem Namen Tanzschule Hakke, organisiert von Samantha Frosties und icam, wieder vermehrt Partys in Hamburg, die schwerpunktmäßig Gabber und Hardcore spielen, welche sich aber in einer neuen Art darstellen.
Von der Produktionsseite betrachtet begann ich ab 1987 die ersten Stücke mit Samples zu komponieren, das waren noch werkseigene Samples des Programms Studio Session an dem Macintosh Computer. Die Dimensionen der Möglichkeiten, die diese Technologie mit sich brachte – anders als es bei 4-Track Magnetbandaufnahmen der Fall war, waren mir damals schon bewusst, aber ich konnte sie erst ab ca. 1992 praktisch umsetzen, als ich das erste einfache Analog-zu-Digital Samplegerät in Besitz hatte. Von diesem Zeitpunkt an war die Möglichkeit gegeben alles aufzuzeichnen, zu verändern, zu arrangieren und das in einer völlig anderen Art als auf Magnetband. Acid-House, Techno und HipHop flirrten damals schon teilweise um mich herum, aber vielmehr Dub von Scientist, King Tubby, Lee Perry. Hier wurde mir klar, wie stark ein Mischpult mit Effekten doch mehr ist als nur ein Gerät, das von Studiotechnikern nach technischen Spezifikationen zu benutzen ist. Der Mensch am Mischpult wird durch die Technik der Dub Version zum Dirigenten, die einzelnen Spuren der Bandmaschine folgen seinem Taktstock, welcher aus Fadern, Muteschaltern und Effekte sendenden Kanälen besteht. Dieses Universum der Nutzung des Mischpults als Instrument besteht als Prinzip schon seit den 1960er Jahren. Die Beatles, als wohl bekannteste Popband, haben ab einem bestimmten Punkt Schallplatten produziert, welche nicht mehr bloße Aufzeichnung eines Stückes waren, sondern eine Grenze überschritten, so dass das Aufgenommene als solches nur noch schwer Live reproduzierbar war. Die Veröffentlichungen von Frank Zappas Mothers of Invention mit ihren starken Cutup und Overdub Techniken wären ein weiteres Beispiel, die Liste ließe sich fortsetzen. Das Besondere an den Dub-Versions ist aber, dass hier der Studiotechniker zum Künstler wird und die Musiker zurücktreten.
Was mich schlussendlich in die elektronische Tanzmusik gezogen hatte war der erste Kontakt mit Hardcore und Jungle aus UK. Das Arbeiten mit einem einfachen Sample Editor war der erste Schritt, aber erst der Zugang zu einem Soundtracker Programm, das für den Amiga 500 entwickelt wurde, brachte einen praktischen Sprung nach vorne. Der erste Soundtracker, Ultimate Soundtracker, wurde von Karsten Obarski 1988 für den Amiga 500 auf den Markt gebracht. Es ermöglichte mit dem Amiga 500 von Commodore, der in den meisten Kinderzimmern schon vorhandenen war, kostengünstig mit Samples Musik zu machen. Frühe samplebasierte Musik, wie insbesondere Jungle, beruht auf dieser Tatsache. Anders als das Musikmachen mit dem Atari und MIDI Instrumenten wie Sampler und Synthesizer, welche sehr teuer waren, war der Amiga 500 mit einem Soundtracker das Instrument der breiten Masse, insbesondere der Unterschicht.
Ein weiteres wichtiges Merkmal der Tracker Programme war ihr eigenes Fileformat, das MOD Dateiformat. Dieses schreibt sich wie eine MIDI Datei in die Komposition ein, fasst aber auch die dazugehörigen Samples als sogenannte Instrumente in einer Datei zusammen.
Die Musik wird beim Abspielen in Echtzeit aus diesen beiden Faktoren zusammengesetzt. Die Samples liegen also in ihrer Ursprungsform separat vor und es kann Einblick in die Kompositionstechnik genommen werden. Es kann hier von einem Open-Source-Dateiformat gesprochen werden. Diese Dateien waren auf Grund ihrer geringen Speichermenge perfekt über Pre-Internet Digitalnetzwerke wie BBS Systeme verbreitbar – was wiederum mit ihrem offenen ausgelegten Dateisystem für eine Ausbreitung dieser kulturellen Techniken sorgte. So eröffnete sich dadurch die Möglichkeit für mich – und auch andere wie ich später festgestellt habe, mit einfachsten und billigsten Mitteln die aufgezeichneten Klänge im Computer in komplexe Collagen zu übertragen. Ein Virus hat seitdem von mir Besitz ergriffen, welcher nicht mehr heilbar ist, wie Kodwo Eshun es formuliert.
Friedrich Kittler schreibt in Grammophon Film Typewriter: „Die Götter Nietzsches mussten noch das Opfer Sprache empfangen; Cut up-Techniken haben diesen Virus ausgetrieben“ [sic] (1) und weiter weist er darauf hin, dass Tonbandtechnik etwas transportiert „[wo]von […] Schrift nicht mehr schreiben [kann]“ (2). Die Unmittelbarkeit ist eine Qualität der Schallwellen. Anders als das, was wir sehen, wo das erlebte Phänomen der Farben und Formen ein Resultat der Reflektion von Lichtwellen auf Oberflächen ist, treffen die Schallwellen das Ohr direkt und ohne Schutz. Die Beschreibung eines Ereignisses in Schrift ist eine Abstraktion des Geschehens in Begriffe, Sprache, Schriftzeichen – das Ereignis etwas zu hören ist jedoch unmittelbar. Aber nicht nur die Wahrnehmung des Rezipienten verschiebt sich durch die Tonbandtechnik, sie führt auch eine neue Praxis der Intervention ein, denn
„nicht immer läuft Tonbandtechnik nur um der Tonbandtechnik willen, nicht immer dient Schneiden der Korrektur oder Verschönerung. Wenn Medien anthropologische Aprioris sind, dann können Menschen auch die Sprache nicht erfunden haben; sie müssen als ihre Haustiere, Opfer, Untertanen entstanden sein. Und dagegen hilft womöglich nur Tonbandsalat. Aus Sinn wird Unsinn, aus Regierungspropaganda Rauschen wie in Turings Vocoder, unmögliche Worthülsen wie ist, oder, der/die/das verschwinden durch Schnitt“ (3).
Die Aufschreibesysteme (im Englischen übrigens als Discourse Networks übersetzt) bei Kittler sind im Digitalen soweit, dass sie mehr Nutzung zulassen als Grammophon oder Magnettonband wie z.B. Modulation, Transformation, Synchronisation, Verzögerung, Speicherung, Umtastung, Scrambling, Scanning und Mapping. Dass die neue Medien anders erzählen, lässt sich auch bei Pierre Schaeffers Musique Concrète finden. Diese erzählt von der Komposition, die konkret geworden ist, darüber, wovon die Notenschrift nicht mehr schreiben kann. Sprich, für Pierre Schaeffer findet die Komposition durch Speicher statt, die den Klang aufschreiben; also via Bandmaschine, Schallplatte und letztendlich digitale Speicherung. In der Musique Concrète findet Komposition, Speicherung und Aufführung des Werks also in Aufschreibesystemen statt. Die Notenschrift bleibt abstrakt, benötigt einen Interpreten. Michel Chion plädiert für einen neuen Begriff für die Musique Concrète, welchen er als die Kunst der fixierten Klänge oder Musique Concrètement einführt. Musique Concrète ist seiner Meinung nach zu sehr mit Autounfällen und Sirenen in Verbindung gebracht worden, was ein Teil davon sein mag, aber nicht den Kern der Idee darstellt und zu weit in die Vorstellung führt, dass es um das reine Montieren von Alltagsgeräuschen geht (4). Chion schreibt:
„Bei den Werken mit fixierten Klängen, die in der Aufnahme das eigentliche Prinzip ihrer Existenz finden, hat man es niemals mit Tönen im Abstrakten zu tun, sondern immer mit einem besonderen und verkörperten Phänomen: ein Geigen- oder Synthesizerton ist kein Geigen- oder Synthesizerton im allgemeinen, er ist immer dieser einmalige Klang, der auf eine bestimmte Weise mit seiner Klangfarbe […] und in dieser Form Sekunde für Sekunde fixiert wurde. Er ist also ein konkreter Klang – nicht in dem Sinne, der diesem Wort in den 1950er Jahren gegeben wurde und der Klang aus einer akustischen Quelle sagen wollte, sondern konkret, weil er eine stabile, sinnliche spürbare Realität ist, die eine Wahrnehmung – so wie eine Photographie oder eine Skulptur – einen unerschöpflichen Reichtum an Aspekten präsentiert.“ (5)
Der Vergleich mit dem Photographischen hierbei ist besonders interessant, führt es doch, von künstlerischer Betrachtung der Praxis zu Collagen und dabei zu Überlegungen über das Signifakt wie bei Roland Barthes. Zwei Aspekte treten hier hervor. Erstens ein Festhalten von vergangenen Ereignissen in der Klangaufnahme, welche eine eigene Geschichte haben und einen eigenen speziellen Moment des Klanges transportieren und zweitens die Praxis jene Klangereignisse in einen neuen Zusammenhang zu bringen. Kodwo Eshun nennt dies Motion Capture: „Gleichgültig der Tradition opfert der Breakbeat die Vergangenheit der Gegenwart“ (6). Diese beiden Aspekte sind für mich wichtig in der Genealogie des Virus. Die andere Seite hat Ludewig in diesem Buch dargelegt, es ist der Black Atlantic und das, was aus den ehemaligen Piraten Utopien der Karibik zurückkehrt. Die neuen Orte, wo sich diese Techniken als Virus ausbreiten, weg von der akademischen bürgerlichen Kunstmusik hin zu einem Zustand, wo der Kopf polyrhythmische Tanzbeine entwickelt und sich auf den Tanzboden stellt.
Über Jungle, Hardcore Continuum und den Black Atlantic schreiben auch Two Fingers und James T. Kirk in den Roman Junglist, welcher die frühe Jungle Szene in London beschreibt.
Jungle wird hier als Black Culture benannt, aber auch als Multiculture die sich aus dem Summer of Love von 1988 gebildet hat. Der Virus von Jungle wird dort folgendermaßen beschrieben:
„We are all part of the same tribe. Drum and bass binds us together. Guerrilla dance, guerilla musicality, coming from anywhere, taking what is needed, taking what is required. No waiting for copyright clearence, none of this bullshit displaying respect for a tune. Out to show that if someone comes up with the original tune, you can go one better by reinventing it, redesigning it. Just jumping in there to create a new version, upgrading it. Making it better. This is the end of the 20th Century, the edge of infinity. 21st Century Fox just around the corner. Sample there, timestretch there, loop a beat, change a pitch on that guitar riff. Taking technology to its apogee. Music manipulated and redifined. Subversion in the extreme. This is my time, my age, circling within the hearts of darkness waiting for the millennium to overtake me. Waiting for the madness to erupt again, for the fundamentalists to start us down the road of destruction [..]“ (7).
In diesem Abschnitt kommt alles zusammen. Das utopische Moment, durch die extreme Benutzung der Technologie, die sich auf dem Dancefloor als Bässe und sonische Viren freisetzt; die Aneignung des Materials, als auch die Verzweiflung vor einer Dystopie, die um die Ecke blickt, um diese Welt einzureißen. bezeichnet dies als apokalyptische Momente. Nach dem der Summer of Love mit Acid-House, in dem die Raver unter einem maschinellen Beat verschmolzen und sich daraus Breakbeat House und dann Hardcore entwickelte, war die Evolution zu Jungle übergegangen, welche die darkness zurückbrachte. Als würde das T- Shirt, auf dem vorher MOOD draufstand sich spiegeln und es würde DOOM daraus. Die Autoren beschreiben diese Wendung drastisch: „House is a false sound, a false consciousness, a false sense of reality.“ (8) House wird hier im Rahmen von Whitewashing genannt. Weiß ist gut und Schwarz ist böse: „The dark forces of those jungle bunnies come to get us. Anything that involves more than one black person, that is aimed at other black people, is inherently dangerous. Because it hasn’t been reconstructed and regurgitated for the white mass culture. Top of the Pops. Imagine every pop tune of the next year coming with a jungle mix. White wash.“ (9) Dies ist dann auch eingetreten. Die Kultur der Nachkommen der Piraten Utopien, der Diaspora und den britischen Kolonien, welche sich mit den Nachkommen des Proletariats und den Bohemen der Kolonialisten des Common Wealth vermischte und deren Praxis auf der Aneignung der Zirkulation im Discourse Network (Aufschreibesysteme bzw. Medien) beruht, wurde zurückgeführt in Popmixe mit Hardcore Beats und Werbejingles mit Jungle Riddims.
Aber auch ein weiteres Verschieben ins ‘Weiße’ vollzog sich, welches ähnlich der Geschichte des Blues zu Rock’n’Roll und letztendlich über Hardrock zu Heavy Metal führte. Im Jungle hat es sich im Drum and Bass vollzogen. Was am Anfang eine Evolution war, entpuppte sich später als Sackgasse mit Einbahnstraße. Diese Entwicklung wird in dem Buch von Two Fingers und James T. Kirk bei ihrer Betrachtung des Dancefloors besonders deutlich: „Now I’m angry and the music fuels it, slides into me and turns up the emotional intensity and I’m stamping on the floor as if to kill it. Letting the beat course through me, trying to do what those idiot white boys do and dance at 145 BPM instead of the bassline.“ (10) Hier wird in Tanzstilen unterschieden – im Jungle gab es noch die polyrhythmische Komponente, d.h. dass verschiedene Zeitzonen aufeinander treffen. Dem rasenden Beat steht eine in der Bassline entgegengesetzter Halftime Beat gegenüber. Der hetzende Beat läuft durch einen hindurch. Im heutigen Drum and Bass existiert diese Ebene kaum noch. Hier wird nur noch auf den hetzenden Breakbeat mit schnellen Jumpstyle-Fußschritten reagiert. Die Apokalypse hat hier gewonnen, dem Rasen wird nicht mehr mit dem Müßiggang der Bassline geantwortet. Was war die Antwort auf die Übertragung ins Technische, die dem Rock`n`Roll angetan wurde? Punk!
„Kunst ist ein dröhnender Gongschlag, sein Nachklang ist das Geschrei der Epigonen, das im leeren Raum verhallt. Die Übertragung ins Technische tötet die künstlerische Potenz.“
– Manifest der Gruppe SPUR vom November 1958
Von Beginn an materialisierte sich der Punk des Dancefloors in Gabber und Breakcore. „Die Releases waren mir immer zu punkig“ hatte einst ein Mitarbeiter des Berliner Plattenladens Hardwax zu mir gesagt, als ich einmal persönlich vor Ort war, um die Releases meines Labels in ihren Laden zu kriegen. Gabber und Breakcore sind also die Punks im Club. Gabber verstand es mit nur einem verzerrten Drum Machine Sound und bodenständigen Hooklines die Bodenständigkeit für einen Moment zum Wackeln zu bringen – Breakcore wiederum hat den Fetisch der elektronischen Musikinstrumente insofern überwunden, als die Musik nur noch auf billigen Heimcomputern mit einfachen Audioprogrammen produziert wurde. Beide, Gabber und Breakcore, benutzen also einfachste Mittel für einen maximalen Effekt. Der Virus der elektronischen Tanzmusik entwickelt sich fort, es gibt jedoch zwei Arten der Entwicklung: Mutation oder Perfektion der Technik (Anpassung).
Logisch ist, dass immer ein Drang zur formalen Gleichheit besteht, Tanzmusik richtet sich nach Tänzen, die Rhythmen sind nach diesen benannt. Sowohl bei Gabber als auch Breakcore war jedoch zu vernehmen, dass die anfängliche Unbedarftheit, die teils dilettantische Herangehensweise, sich in Richtung technische Perfektion entwickelte. Das Utopische wurde wieder in das Apokalyptische übertragen. Der Niederländer Bas Welling, der unter den Namen Rioteer einige Breakcore Veröffentlichungen herausgebracht hat, betitelte eine seiner Schallplatten Gabberism And The Subcultural Behavior Pattern Trap. Auf dieser beschäftigte er sich mit der niederländischen Gabber Szene und deren Einfahren auf bestimmte Muster in der Produktion, der Ästhetik und dem Gebaren. Die Dystopie, das Moment wo sich die Utopie in ihr Gegenteil wandelt, ist für mich die Übertragung ins Technische, dem Folgen eines Bauplans wie ein Ingenieur, nicht zu verwechseln mit der Nutzung von Technik. So wie es oben die Gruppe SPUR in ihrem Manifest ausdrückt. Damit ist gemeint, dass nur noch dem Formalen gefolgt wird, sich aber nichts mehr entwickelt. Außer vielleicht im Aspekt der technischen Perfektion. Die Temporäre Autonome Zone (TAZ) von Hakim Bey taucht in Ludewigs Buch, unter Rückgriff auf ein Interview mit Fringeli im Magazin Frontpage als Brutstätte der Utopie auf, welche aus Viren entsteht (11). Genau genommen ist die TAZ keine Utopie im Sinne eines Wartens auf die Revolution; sie ist das, was gerade im Hier und Jetzt passiert, ohne zu fragen was passieren müsste oder was passieren wird (12). Durch die Übertragung ins ‘Technische’ wird die TAZ erstickt, weil dadurch gefragt wird, was im Ergebnis passieren sollte. Das Festlegen auf Regelungen widerspricht der TAZ. Für die Musik heißt das, dass vorgegebene und schon existente Strecken und Muster bedient werden, obwohl es neben der Fahrbahn eine Wildnis zu entdecken gäbe. Der Gongschlag ist der mutierte Virus, das Übertragen ins technisch Perfekte der Anti-Virus, die Dystopie. Es geht nicht alleine darum, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, sondern sie aus der Reihe tanzen zu lassen.
Die technologische Entwicklung führte für mich nach und nach zu dem, was sich dann unter dem Namen Breakcore etablierte, was auch immer das sein mag. Ich würde eher für den Begriff einer extremen Nutzung der technischen Möglichkeiten plädieren oder für einen jeweiligen Begriff für jedes neue Stück (allein schon, um der Behavior Trap zu entgehen). Ich hatte den Begriff Dubcore eingeführt, welcher Dub und das Hardcore Continuum zusammen führen sollte, was aber auch ein Spiel mit den Genrebegriffen ist, weil es eigentlich darum geht Genre Begriffe zu überwinden, was auch Michel Chion umtreibt: „Warum sollen wir Begriffe erfinden und groß herumpalavern, fragt man sich manchmal?“ (13). Genre Begriffe können nützlich sein als Kategorien zur Kommunikation, fördern aber auch ein Festfahren im Produktionsprozess.
Spannender ist eigentlich die Frage des Materials, wie es Chion aufwirft. Durch die technische Reproduzierbarkeit der Kunstwerke und mit der massenweisen Zugänglichkeit von Computern und auf diesen beruhende elektronische Musikinstrumente wie Sampler, Sequenzer usw., sind die technisch reproduzierten Kunstwerke selber zu Material geworden, das sich zur Weiterverarbeitung anbietet. Und noch mehr als das: Kulturtechniken sind in eine neue Form technischer Reproduzierbarkeit übergegangen, ich nenne es Kulturtechniken im Zeitalter ihrer virtuellen Reproduzierbarkeit. Nicht nur das Kunstwerk ist reproduzierbar, sondern auch die Praxis der Entstehung des Kunstwerkes ist virtuell reproduzierbar. Das Gitarrenspiel oder das Schlagzeugspiel muss nicht mehr erlernt werden, sondern kann durch digital aufgenommene Fragmente benutzt und weiterverarbeitet werden. Genauso müssen gewisse technische Aktionen, die vorher von Ton-Ingenieuren gelernt und angewandt wurden, heute nicht mehr unbedingt selber angeeignet werden, sie liegen in vielen Programmen schon als Wissen in Presets gespeichert. Der kulturelle Raum, in dem Kulturtechniken erlernt werden, vermittelt sich nicht mehr nur vom Lehrer zum Schüler, wie im Fall des Erlernens eines Instruments, sondern über die Kittler’schen Aufschreibesysteme, dem Discourse Network. Hierbei implodieren Material und Kulturtechnik zu einem, indem beides durch den Computer – der Universalmaschine, eingeschrieben wird und als eine kulturelle Materialumwelt auf die Menschen einstürzt.
Gabber und Breakcore unterscheiden sich zuerst einmal dadurch, dass Gabber sich aus Chicago House und Detroit Techno und in dieser Linie aus den Black Atlantic formiert hat, das heißt, Gabber ist eine Maschinen Musik, welche an Geräten, vor allem an Drum Machines erzeugt wurde und sich mit teutonischem Krautrock, Kosmischer Musik und Electronic Body Music vermischte. Breakcore hingegen war vom Ursprung her mehr auf Samples gestützt, eben auch, weil es sich genealogisch vor allem aus Jungle entwickelt hatte, wenn auch über eine Distanzierung und Vermischung mit Gabber und Speedcore. Das heißt, die Technik des Cut-up ist hier stärker vertreten. Legenden werden verschieden erzählt, für mich war Breakcore die Rückführung des Black Atlantic über Jungle als virtueller Punk. Dem wäre noch einiges hinzuzufügen und jede/r hat ihre/seine eigene Geschichte – meine Gedanken dazu sind nur eine Stimme im Sturm einer „invisible insurrection of a million minds“ (14).
Istari Lasterfahrer
Hamburg, 23.6.2019
1. Friedrich Kittler: Grammophon Film Typewriter. Berlin 1986, S. 172.
2. Ebenda.
3. Ebd., S. 167.
4. Genauer gesagt geht es Michel Chion darum, die Musique Concrete, die Electroakustische Musik und die von Francoise Bayle akusmatische Musik in den Begriff der Kunst fixierter Klänge wieder zusammenzuführen.
5. Michel Chion: Die Kunst fixierter Klänge – oder die Musique Concrètement. Berlin 2010, S. 54.
6. Kodwo Eshun: Heller als die Sonne. Berlin 1999, S.65.
7. Two Fingers and James T. Kirk: Junglist. London 1995, S. 191.
8. Ebd., S. 51.
9. Ebd., S. 51ff.
10.Ebd., S. 17.
11.Bianca Ludewig, Utopie und Apokalypse in der Popmusik. Wien 2018, S. 86.
12.Hakim Bey sieht seine Überlegungen einer Temporären Autonomen Zone mehr als „poetische Spielerei“ und wo er in „schwärmerischen Enthusiasmus“ fällt, denn er will kein „politisches Dogma“ aufstellen. Seine Überlegungen gehen von Piraten Utopien aus. Das Warten auf die Revolution sucht Hakim Bey aufzugeben, stattdessen will er aus der Zeit treten und einen verrückten Tanz aufführen. Die TAZ als ein Aufstand: „Aufstände können nicht wie Festivals jeden Tag stattfinden – sonst wären sie nicht »ungewöhnlich«. Solche Momente aber geben der Gesamtheit des Lebens Gestalt und Bedeutung. Der Schamane kehrt zurück – aber es haben Veränderungen stattgefunden, ein Unterschied ist gemacht.“ In: Hakim Bey: Temporäre Autonome Zone. Berlin 1994, S. 109 ff.
13. Michel Chion: Die Kunst fixierter Klänge – oder die Musique Concrètement. Berlin 2010, S. 47.
14. Umschlagtext von Everything Else Is Even More Ridiculous. A Decade of Noise and Politics, datacide magazine issues 1-10. Datacide Books, Berlin 2015.